13-41 Nr. 5

Neuausrichtung der Inklusion
in den öffentlichen allgemeinbildenden
weiterführenden Schulen

RdErl. d. Ministeriums für Schule und Bildung
v. 15.10.2018 (ABl. NRW. 12/18 S. 38)

1. Grundlagen

1.1 Für eine spürbare Qualitätssteigerung der Angebote des Gemeinsamen Lernens an allgemeinbildenden Schulen ist es erforderlich, die vorhandenen Ressourcen gezielt einzusetzen.

1.2 Die Neuausrichtung der Inklusion in der Schule betrifft somit insbesondere den Übergang von Schülerinnen und Schülern mit einem förmlich festgestellten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung von der Primarstufe in die Sekundarstufe I.

1.3 Wird eine Schülerin oder ein Schüler in der Primarstufe sonderpädagogisch gefördert und wurde der Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Verfahren nach §§ 10 ff. der Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung (AO-SF - BASS 13-41 Nr. 2.1) förmlich festgestellt, entscheidet das Schulamt nach § 17 Absatz 5 AO-SF, ob sonderpädagogische Förderung in der Sekundarstufe I weiterhin notwendig ist. In diesem Fall schlägt es den Eltern mindestens eine weiterführende allgemeine Schule vor, an der ein Angebot zum Gemeinsamen Lernen eingerichtet ist (§ 17 Absatz 5, § 16 AO-SF). Entscheiden sich die Eltern für eine Förderschule, berät sie das Schulamt gemäß § 16 Absatz 2 AO-SF über ein entsprechendes Angebot.

1.4 Gemeinsames Lernen an Hauptschulen richtet das Schulamt ein, die Bezirksregierung an den anderen Schulen der Sekundarstufe I. Vorher werden in den Regierungsbezirken Koordinierungskonferenzen für die Schulamtsbezirke durchgeführt. Diese haben zum Ziel, das Angebot des Gemeinsamen Lernens dem Bedarf anzupassen und eine ausreichende Zahl an Plätzen für Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung an Schulen des Gemeinsamen Lernens zur Verfügung zu stellen.

1.5 An einer Schule wird Gemeinsames Lernen nach Anhörung der Schulleitung mit schriftlicher Zustimmung des Schulträgers nur „eingerichtet“, wenn die Schulaufsichtsbehörde dies über den Einzelfall hinaus durch eine an den Schulträger gerichtete Verfügung dauerhaft an einer Schule etabliert. Die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde ist gegenüber der Schule rechtlich als Weisung zu qualifizieren.

1.6 Die Einrichtung des Gemeinsamen Lernens setzt voraus, dass nach den Feststellungen der Schulaufsichtsbehörde die personellen und sächlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind oder mit vertretbarem Aufwand erfüllt werden können (§ 20 Absatz 5 SchulG - BASS 1-1). Die Aufnahme einzelner Schülerinnen oder Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung definiert eine allgemeine Schule nicht als Ort des Gemeinsamen Lernens.

1.7 In der Verfügung bestimmt die Schulaufsichtsbehörde, auf welchen Förderschwerpunkt oder welche Förderschwerpunkte sich das Gemeinsame Lernen an einer Schule erstreckt, sowie die mögliche Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler im Gemeinsamen Lernen mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung. Änderungen bedürfen einer neuen Zustimmung des Schulträgers.

1.8 Im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen wird Gemeinsames Lernen an einer allgemeinen Schule immer gemeinsam für die Förderschwerpunkte Lernen, Sprache sowie Emotionale und soziale Entwicklung eingerichtet.

1.9 Auch bei einer Einzelintegration holt die Schulaufsichtsbehörde nach Anhörung der Schulleitung die Zustimmung des Schulträgers nach § 19 Absatz 5 Satz 3 SchulG ein. Unberührt bleibt, dass ein Schulträger seine generelle Zustimmung zur Einzelintegration in bestimmten Förderschwerpunkten oder in allen Förderschwerpunkten erteilen kann.

1.10 Die Einrichtung des Gemeinsamen Lernens ist gemäß § 20 Absatz 5 SchulG Aufgabe der Schulaufsichtsbehörde. Vorher erörtert sie die beabsichtigte Maßnahme mit dem Schulträger mit dem Ziel des Einvernehmens und holt seine Zustimmung ein. Auch kann ein Schulträger der Schulaufsichtsbehörde vorschlagen, Gemeinsames Lernen einzurichten. Ein Schulträger kann seine Zustimmung nur verweigern, um Belange nach § 79 SchulG zur Geltung zu bringen. Hält die Schulaufsichtsbehörde eine Verweigerung der Zustimmung für rechtswidrig, veranlasst sie über die Kommunalaufsichtsbehörde (Kreis oder Bezirksregierung) gegenüber dem Schulträger eine Maßnahme gemäß § 123 der Gemeindeordnung.

1.11 Das Angebot des Gemeinsamen Lernens an einer Schule bleibt so lange bestehen, wie dies auf Grund der Schülerzahlen erforderlich ist. Ein häufiger Wechsel von Standorten des Gemeinsamen Lernens soll aus Gründen der Kontinuität und Verlässlichkeit vermieden werden.

1.12 Die Schulaufsichtsbehörde widerruft nach Anhörung des Schulträgers durch Verfügung die Einrichtung des Gemeinsamen Lernens an einer Schule, wenn diese dafür personell und sächlich nicht mehr mit vertretbarem Aufwand ausgestattet werden kann oder die Mindestschülerzahl nach den Nummern 2.3 bis 2.5 dieses Erlasses in zwei aufeinanderfolgenden Schuljahren unterschritten wird.

2. Gemeinsames Lernen an Hauptschulen, Realschulen,
Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen, Sekundarschulen und Primusschulen ab dem Schuljahr 2019/20

2.1 Die Schulaufsichtsbehörde überprüft erstmals bis 15. Dezember 2018 und danach regelmäßig für jede Schule des Gemeinsamen Lernens, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür über das Schuljahr 2018/2019 hinaus erfüllt werden können. Sie hört den Schulträger dazu an.

2.2 Für ein Angebot des Gemeinsamen Lernens ab dem Schuljahr 2019/2020 gelten im Einzelnen folgende Qualitätskriterien:

2.2.1 Ein Inklusionskonzept der Schule liegt vor oder wird mit Unterstützung der zuständigen Schulaufsichtsbehörde erarbeitet.

2.2.2 Der Einsatz von Lehrkräften für Sonderpädagogik an der Schule und die pädagogische Kontinuität sind gewährleistet.

2.2.3 Das Kollegium wurde oder wird systematisch im Themenfeld Inklusion fortgebildet (siehe u.a. BASS 20-22 Nr. 8 Anlage 4 Kapitel V)

2.2.4 Die sächliche, namentlich die räumliche Ausstattung der Schule ermöglicht Gemeinsames Lernen (siehe dazu auch § 1 des Gesetzes zur Förderung kommunaler Aufwendungen für schulische Inklusion - BASS 11-02 Nr. 28).

2.3 Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen, Sekundarschulen und Primusschulen, die Schulen des Gemeinsamen Lernens in der Sekundarstufe I sind, nehmen im Regelfall jährlich im Durchschnitt ihrer Eingangsklassen drei Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung auf. Dabei wird nicht nach Förderschwerpunkten unterschieden, sofern es dafür keine sachlichen Gründe gibt. Die stärkere Bündelung kann im Gebiet eines Schulträgers dazu führen, dass Gemeinsames Lernen an weniger Standorten eingerichtet wird als bisher.

2.4 Weitere Schulen im Gebiet des Schulträgers können nur dann Schulen des Gemeinsamen Lernens der Sekundarstufe I werden, wenn an den bereits eingerichteten Schulen des Gemeinsamen Lernens im Durchschnitt mehr als drei Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung pro Eingangsklasse aufgenommen werden müssten.

Die Bündelung an Schulen des Gemeinsamen Lernens, die die genannten Voraussetzungen erfüllen, schafft in der Regel die Voraussetzungen für die Reduzierung des Klassenfrequenzrichtwerts nach § 46 Absatz 4 SchulG.

2.5 Folgende begründete Ausnahmen sind möglich:

2.5.1 Gibt es im Gebiet eines Schulträgers nur eine Schule des Gemeinsamen Lernens, die die oben genannten Qualitätskriterien erfüllt, nimmt sie alle Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in ihrem Einzugsgebiet auf, auch wenn sie dabei die Zahl von drei Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung aller Förderschwerpunkte im Durchschnitt ihrer Eingangsklassen unterschreitet.

2.5.2 Eine Überschreitung der Aufnahme von drei Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Durchschnitt ihrer Eingangsklassen ist im Hinblick auf die Umsetzung von § 19 Absatz 5 SchulG an einer Schule des Gemeinsamen Lernens möglich, wenn die Schulaufsicht die personellen Voraussetzungen hierfür schaffen kann.

2.5.3 Bei zielgleicher sonderpädagogischer Förderung können - auch im Rahmen von Einzelintegration - andere allgemeine Schulen aller Schulformen als Orte sonderpädagogischer Förderung bestimmt werden. Diese Schulen sind jedoch keine Schulen des Gemeinsamen Lernens.

2.6 Hat die Schulaufsichtsbehörde die Einrichtung des Gemeinsamen Lernens nach Nummer 1.12 widerrufen, setzen die Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung ihre Schullaufbahn an der bisher besuchten Schule fort und beenden sie dort. Unberührt bleiben der Wechsel des Förderorts nach § 17 AO-SF, der Wunsch der Eltern nach einem Schulwechsel oder der Besuch einer anderen Schule im Rahmen einer einvernehmlichen regionalen Schulentwicklungsplanung.

3. Inklusion an Gymnasien

3.1 Sonderpädagogische Förderung an Gymnasien ist in der Regel zielgleich.

3.2 Die Schulaufsichtsbehörde kann im Rahmen von § 20 Absatz 5 SchulG an Gymnasien Gemeinsames Lernen in Förderschwerpunkten mit zieldifferentem Unterricht einrichten, wenn

a) sie sich mit dem Schulträger darüber verständigt hat, dass dies aufgrund des örtlichen Schulangebots erforderlich ist, um den Anspruch der Schülerinnen und Schüler auf Gemeinsames Lernen zu erfüllen und die Schulleitung sich zuvor zu der beabsichtigten Entscheidung äußern konnte; solche Fälle sind dem Ministerium anzuzeigen.

oder

b) die Schulkonferenz des Gymnasiums der Schulaufsichtsbehörde aufgrund eines Beschlusses nach § 65 Absatz 2 Nr. 8 SchulG vorschlägt, Gemeinsames Lernen mit zieldifferentem Unterricht an der Schule einzurichten.

3.3. Ein Gymnasium, an dem auch zieldifferent unterrichtet wird, nimmt in der Regel nicht weniger als sechs Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung in die Klasse 5 auf. Der zieldifferente Unterricht wird auf der Grundlage eines Konzepts der Schule erteilt und durch die Schulaufsichtsbehörde unterstützt.

3.4 Für die Überprüfung der Standorte und für die Qualitätskriterien des Gemeinsamen Lernens gelten die Nummern 2.1 und 2.2.

4. Inkrafttreten

Dieser Runderlass tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.