15-02 Nr. 9.12

27. Januar -
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung
v. 28.11.1996 (GABl. NW. I S. 236)1

Am 3. Januar 1996 hat der Bundespräsident mit Zustimmung von Bundestag und Bundesregierung den 27. Januar zum ständigen Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt und die Schulen aufgefordert, durch geeignete Gestaltung dieses Tages der Millionen Menschen zu gedenken, die durch das nationalsozialistische Regime entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.

In der Proklamation des Bundespräsidenten heißt es:

„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen.

Es ist deshalb wichtig, eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

Zum Anlass:

Am 27. Januar 1945 betraten gegen Mittag vier russische Soldaten das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Die sowjetischen Soldaten fanden 7.000 Überlebende vor, von denen viele in den nächsten Tagen und Wochen noch starben; 7.000 Überlebende von über 1.200.000 Menschen - in der Mehrzahl Angehörige des jüdischen Volkes -, die allein in Auschwitz den Tod gefunden haben.

Dieser eine Moment der Befreiung, an dem nur wenige der hier Befreiten noch fähig waren, wegen der vorher erlittenen Qualen und Erniedrigungen Freude zu empfinden, ist zum Anlass genommen worden, den 27. Januar als Tag des kollektiven Gedenkens an alle Opfer des Nationalsozialismus zu proklamieren.

Die Schulen des Landes sind aufgefordert, sich dem bedrückendsten Kapitel der Deutschen Geschichte immer wieder neu zu stellen. Die Erinnerung an diese dunkelsten Jahre der Deutschen Geschichte wachzuhalten, ist und bleibt eine wichtige Aufgabe der Deutschen. Es gibt kein Recht zu vergessen.

Erinnerung schulden wir an erster Stelle den Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft.

In einem systematischen Völkermordprogramm wurden Juden, Sinti und Roma verfolgt; Widerstandsgruppen und Repräsentanten der Arbeiterbewegung wurden terrorisiert. Die Leiden anderer Opfergruppen sind erst in der letzten Zeit mehr ins Bewusstsein getreten: Zu ihnen gehören Kriegsgefangene und Deserteure, Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter, „kriminelle“ oder „asoziale“ Häftlinge, „Arbeitserziehungshäftlinge“, Homosexuelle, Prostituierte, Geisteskranke und Zwangssterilisierte, Opfer des Euthanasieprogramms, Zeugen Jehovas und andere.

Für Jugendliche steht - auch im Rahmen der Behandlung der nationalsozialistischen Epoche - die Frage: „Was hat das mit mir zu tun?“ im Mittelpunkt. Persönliche Bezüge können vor allem durch regionale und lokale Recherchen, die der Geschichte der eigenen Familie, der eigenen Schule oder der eigenen Stadt in der Zeit zwischen 1933 und 1945 nachspüren, hergestellt werden. Opfer wurden von überall her verschleppt, an vielen Orten misshandelt und ermordet.

Orte mit Bezügen zu Opfern oder Tätern werden heute vielfach auch als Lernorte verstanden. In Nordrhein-Westfalen sind in letzter Zeit neue Gedenkstätten entstanden, die neben Gebäuden, Gelände und sonstigen originalen Zeugnissen auch über Archive, Ausstellungen und Personal verfügen. Sie sind immer mit Initiativen von engagierten Einzelpersonen und Gruppen vor Ort verbunden. Sie helfen Jugendlichen bei der lokalen Spurensuche, stellen Kontakte zu Zeitzeugen her und organisieren Gespräche, z.B. auch über die Bedeutung der Erinnerung für Gegenwart und Zukunft.

Ein Verzeichnis der Gedenkstätten bzw. Gedenkinitiativen kann bei der Landeszentrale für politische Bildung, Düsseldorf, und bei der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, angefordert werden.

Es gibt mittlerweile viele ermutigende Beispiele erfolgreicher Erinnerungsarbeit. Schülerinnen und Schülern sollte Raum geben werden, ihre Spurensuche bei der thematischen Präzisierung, der Bearbeitungsweise und der Darstellungsform selbstständig zu gestalten.

Projektarbeitsformen sind in diesem Zusammenhang besonders erfolgversprechend.

Der 27. Januar könnte ein Tag sein, an dem die Ergebnisse einer projektartigen Kooperation zwischen Kommunen, Gedenkstätten und Schulen, die auch durch internationale Kontakte erweitert werden kann, präsentiert und diskutiert werden. Es könnte ein Zeitpunkt der Verdichtung und Bündelung vielfältiger Erinnerungsaktivitäten sein, die auch längerfristig (z.B. zwischen dem 9. November und dem 27. Januar) verlaufen. Initiativen und Projekte vor Ort sollten unterstützt und an anderer Stelle angeregt werden.

Aus der Erinnerung an die Opfer erwächst die Verpflichtung, in Zukunft neuen Gefahren für Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie rechtzeitig entgegenzutreten.

Der 27. Januar sollte solche Vorhaben besonders herausstellen, die eine Wirkung über den Tag hinaus in die Zukunft versprechen.

 


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