Umfangreiche Überarbeitung des RdErl. von 2007 Was sich inhaltlich bei der Neufassung geändert hat, können Sie in dieser Ausgabe von Schule NRW unter Nachrichten auf Seite 527 nachlesen. |
Zu BASS 18 – 03 Nr. 1
Zusammenarbeit
bei der Verhütung und Bekämpfung
der Jugendkriminalität
Gem. RdErl. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales – 424-62.19.02,
d. Justizministeriums – 4210-III.94, d. Ministeriums für Gesundheit,
Emanzipation, Pflege und Alter – 214-0390.5.2., d. Ministeriums für
Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport – 313-6004.1.9
u. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung – 622.6.08.08.04-50724
v. 22. 8. 2014 (MBl. NRW. S. 493)
Inhaltsübersicht
1 Präambel
2 Netzwerke der Prävention
3 Übermittlung personenbezogener Daten
3.1 Jugendämter
3.2 Schule
3.2.1 Aufgaben der Schule
3.2.2 Ansprechpersonen
3.2.3 Straftaten an der Schule oder im unmittelbaren Umfeld
3.2.4 Information der Erziehungsberechtigten
3.2.5 Information und Anhörung der Schule im Ermittlungsverfahren
3.2.6 Gefährdung des Kindeswohls
3.3 Polizeibehörden
3.3.1 Allgemeines
3.3.2 Zusammenarbeit mit den Jugendämtern
3.3.3 Polizeiliche Bearbeitung der Jugendkriminalität
3.3.4 Zusammenarbeit mit Schulen
3.3.5 Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften
3.4 Justizbehörden
3.4.1 Aufgaben der Justizbehörden
3.4.2 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für den Ort
3.4.3 Jugendstrafverfahren
3.4.4 Vollstreckung jugendstrafrechtlicher Sanktionen
3.4.5 Familiengerichtliche Verfahren
3.5 Untere Gesundheitsbehörden
3.6 Ordnungsbehörden
4 Besondere Formen der Zusammenarbeit
4.1 Fallkonferenzen
4.2 Häuser des Jugendrechts
5 Wesentliche Erlasse
6 Geltungsdauer
1 Präambel
Delinquentes Verhalten ist in der Entwicklung von Jugendlichen ein überwiegend episodenhaftes Phänomen, dessen Ursachen u.a. in Störungen des Sozialisationsprozesses liegen und das durch geschlechtsspezifische Unterschiede gekennzeichnet ist. Ziel bei der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität ist insbesondere, der Entwicklung und Verfestigung delinquenter Verhaltensweisen entgegenzuwirken. Kriminalpräventive Maßnahmen sollen dabei möglichst früh ansetzen und die jeweiligen Lebensumstände sowie individuellen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen berücksichtigen. Die Eltern beziehungsweise Personensorgeberechtigten und das soziale Umfeld sind in geeigneter Weise einzubeziehen.
Die vertrauensvolle und kontinuierliche Zusammenarbeit der mit Kindern und Jugendlichen befassten Institutionen und Einrichtungen ist wesentliche Voraussetzung für wirksame Präventions- und Interventionsmaßnahmen und für angemessene Maßnahmen im Rahmen von Strafverfahren. Neben der Vermeidung von Straftaten durch frühzeitige Vermittlung in geeignete Hilfen kommen einer schnellen Aufklärung von Straftaten, der zeitnahen Reaktion auf Straftaten und der Berücksichtigung der berechtigten Ansprüche potentieller und konkreter Opfer eine besondere Bedeutung zu.
2 Netzwerke der Prävention
Anhaltende frühkindliche Verhaltensauffälligkeiten (z.B. aggressives Verhalten, soziales Rückzugsverhalten) können auch Indikatoren für eine spätere Suchtentwicklung, Delinquenz und gewalttätiges Verhalten sein. Daher sollten erste Maßnahmen der Primärprävention sehr früh, möglichst bereits im Vorschulalter, durchgeführt werden, um einem negativen Entwicklungsverlauf effektiv vorzubeugen.
In den Kommunen arbeiten bereits eine Vielzahl von Institutionen wie Jugendhilfe, Sucht- und Drogenhilfe, Schule, Kindergärten, Polizei, Kirchen, Vereine und andere Organisationen zusammen, um Kindern und Jugendlichen in Risiko- und Gefährdungslagen geeignete Hilfen anzubieten. Diese Zusammenarbeit der Verantwortungsträger in Städten und Gemeinden im Rahmen von Netzwerken ist weiter zu intensivieren.
Die Jugendämter sollten dabei eine koordinierende Rolle übernehmen. Sie sollen die anderen Institutionen bei der Zusammenarbeit im Netzwerk beraten und unterstützen sowie auf die Vereinbarung von Zielen und Leitlinien der Netzwerkpartner hinwirken.
3 Übermittlung personenbezogener Daten
Die folgenden Ausführungen zur Zusammenarbeit enthalten selbst keine Rechtsgrundlagen zur Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Eltern beziehungsweise Personensorgeberechtigten. Die zur Zusammenarbeit angehaltenen Stellen sind daher verpflichtet, im Einzelfall zu prüfen, ob eine Datenübermittlung zulässig ist.
3.1 Jugendämter
Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmt und eigenverantwortlich handelnden sozial kompetenten Persönlichkeit. In diesem Kontext ist es unter anderem Aufgabe der Jugendämter, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern, ihnen sowie ihren Familien Beratung und erforderliche Hilfen anzubieten und zu gewähren, Familien zu unterstützen und von den Kindern und Jugendlichen Gefährdungen abzuwenden. Hierbei wirken die Jugendämter in den Feldern des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder und Jugendhilfe – in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012 (BGBl. I S. 2022), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3464) geändert worden ist (SGB VIII), bei der Prävention mit. Sie arbeiten zudem gem. § 81 SGB VIII mit anderen Stellen, die der Erziehung, Bildung, Beratung und der Hilfe dienen, sowie der Polizei zusammen. Die Jugendgerichtshilfe ist Teil des Jugendamtes. Die Träger der freien Jugendhilfe (Wohlfahrtsverbände, Jugendeinrichtungen, Jugendorganisationen etc.) und die Kirchen nehmen bei Präventionsmaßnahmen und bei den Hilfen eine besondere Rolle ein. Sie sind wichtige Partner bei der Förderung junger Menschen.
Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen Anspruch auf rechtzeitige und verlässliche Hilfe durch die Jugendämter. Hierzu müssen in sozial belasteten Regionen und für Familien mit besonderen Risikofaktoren niedrigschwellige Angebote bereitgestellt werden.
Zur Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen, insbesondere des Jugendschutzgesetzes, arbeiten die Jugendämter mit den örtlichen Polizei- und Ordnungsbehörden zusammen.
3.2 Schule
3.2.1 Aufgaben der Schule
Erziehung und Bildung in der Schule zielen auf die Entwicklung einer selbst- und sozialverantwortlichen Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen. Dazu bedarf es der breiten und kontinuierlichen Unterstützung aller, die an der Erziehung beteiligt sind.
Themen der Kriminalprävention, insbesondere zur Vermeidung von Gewalt und Drogenkonsum beziehungsweise Erläuterungen des Betäubungsmittelrechts, sollen verstärkt im Unterricht behandelt werden. Dazu können von Polizei, Jugendamt sowie Einrichtungen der Sucht- und Drogenhilfe angebotene Veranstaltungen besucht werden. Vertrauensbildend sind regelmäßige anlassunabhängige Besuche oder Sprechstunden der Polizei und des Jugendamts in den Schulen.
Lehramtsanwärterinnen und -anwärter sollen Gelegenheit erhalten, die Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Jugendamt sowie den Sucht- und Drogenberatungsstellen kennen zu lernen.
3.2.2 Ansprechpersonen
Zur Sicherung des Kontakts mit der Polizei und dem Jugendamt bestellt jede Schulleitung eine feste Ansprechperson, möglichst aus der Schulleitung, der erweiterten Schulleitung oder aus dem Personenkreis der Beratungslehrkräfte. Die Ansprechpersonen bewerten zusammen mit den von der Polizei und dem Jugendamt benannten Personen mindestens einmal jährlich ihre Zusammenarbeit.
3.2.3 Straftaten an der Schule oder im unmittelbaren Umfeld
Besteht gegen Schülerinnen oder Schüler der Verdacht der Begehung eines Verbrechens, so hat die Schulleitung die Strafverfolgungsbehörden zu benachrichtigen.
Soweit sich der Verdacht einer sonstigen strafbaren Handlung (Vergehen) ergibt, hat die Schulleitung zu prüfen, ob pädagogische/schulpsychologische Unterstützung, erzieherische Einwirkungen beziehungsweise Ordnungsmaßnahmen ausreichen oder ob wegen der Schwere der Tat eine Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft erforderlich ist. Dies ist regelmäßig der Fall bei
– gefährlichen Körperverletzungen,
– Einbruchsdiebstählen,
– Verstößen gegen das Waffengesetz,
– Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz
– gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr,
– erheblichen Fällen von Bedrohung, Sachbeschädigung oder Nötigung
sowie
– politisch motivierten Straftaten.
Bei der Abwägung hat die Schule sowohl die Täter- als auch die Opferinteressen zu berücksichtigen. In Fällen des Verdachts auf Vergehen, wie Besitz oder nicht gewerbsmäßige Weitergabe von geringfügigen Mengen von Betäubungsmitteln soll möglichst die Sucht- und Drogenberatungsstelle einbezogen werden. Dies erfolgt auf der Grundlage einer Erörterung des Einzelfalls unter Gewährleistung der Anonymität der/des Betroffenen. Die Drogen- und Suchtberatungsstelle unterstützt die Schulleitung bei der Abwägung, ob bei einem Vergehen von der Benachrichtigung der Strafverfolgungsbehörden abgesehen werden kann und ob und ggf. welche weitergehenden Hilfen in dem konkreten Einzelfall angezeigt sind.
Der Erziehungsauftrag der Schule (§ 2 Schulgesetz NRW) wird durch die Benachrichtigung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft nicht berührt. Insbesondere ist die Schule auch nach Hinzuziehung der Polizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt, die in § 53 Schulgesetz NRW vorgesehenen erzieherischen Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen zu verhängen. Weitere pädagogische / schulpsychologische Unterstützung kann sinnvoll sein. Strafbare Handlungen, die von Schülerinnen oder Schülern außerhalb der Schule begangen werden, können jedoch nur dann zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen nach dem Schulgesetz führen, wenn ein schulischer Bezug erkennbar ist (zum Beispiel Mitschülerinnen oder Mitschüler betroffen sind).
Die Aufgaben der Strafverfolgung obliegen ausschließlich den Strafverfolgungsbehörden.
Die Polizei ist darüber hinaus zu benachrichtigen, soweit der Schulleitung oder einer Lehrperson zureichende tatsächliche Anhaltspunkte auf bevorstehende erhebliche Straftaten vorliegen.
3.2.4 Information der Erziehungsberechtigten
Sofern die Schule Polizei oder Staatsanwaltschaft informiert hat, obliegt die Benachrichtigung der Erziehungsberechtigten der tatverdächtigen Personen beziehungsweise der Opfer ausschließlich der Polizei, um Ermittlungsmaßnahmen nicht zu gefährden. Ansonsten informiert die Schule in eigener Zuständigkeit die Erziehungsberechtigten der tatverdächtigen Personen und die Erziehungsberechtigten der Opfer, soweit es sich um Schülerinnen oder Schüler der Schule handelt. Den Erziehungsberechtigten der Opfer wird damit die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen oder die eigene Strafanzeige ermöglicht.
3.2.5 Information und Anhörung der Schule im Ermittlungsverfahren
Die Strafverfolgungsbehörden hören gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) die Schule zur Feststellung der Lebens- und Familienverhältnisse, des Werdegangs, des bisherigen Verhaltens der oder des Beschuldigten und aller übrigen Umstände an, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart dienen können, sofern die Schülerin oder der Schüler dadurch nicht unerwünschte Nachteile, namentlich den Verlust ihres beziehungsweise seines Ausbildungsplatzes zu besorgen hat. Gemäß Nr. 33 der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) werden die Leiterin beziehungsweise der Leiter der Schule zudem über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Erhebung der öffentlichen Klage unterrichtet, wenn aus Gründen der Schulordnung, insbesondere zur Wahrung eines geordneten Schulbetriebes oder zum Schutz anderer Schülerinnen und Schüler, sofortige Maßnahmen geboten sein können.
Soweit seitens der Schule die Strafverfolgungsbehörden informiert wurden, informiert sie diese auch über erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen, damit diese im Strafverfahren berücksichtigt werden können.
3.2.6 Gefährdung des Kindeswohls
Bestehen gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls einer Schülerin oder eines Schülers, hat die Lehrkraft, die diese in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit wahrgenommen hat, zur Gefährdungseinschätzung Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft des öffentlichen Jugendhilfeträgers. Sie darf die erforderlichen Daten zu diesem Zwecke anonymisiert übermitteln. Lehrkräfte, die einen derartigen Verdacht haben, informieren die Schulleitung unverzüglich. Sofern ein Gespräch mit der Schülerin oder dem Schüler und den Personensorgeberechtigten keinen Erfolg verspricht – u.a. soll hierbei auf die Inanspruchnahme von Hilfen hingewirkt werden – und eine Gefährdung auf andere Weise nicht abzuwenden ist und somit ein Tätigwerden des Jugendamtes als erforderlich erachtet wird, ist die Lehrkraft beziehungsweise die Schulleitung befugt, das Jugendamt zu informieren und die erforderlichen Daten mitzuteilen. Vorab sind die Betroffenen hierüber in Kenntnis zu setzen, sofern damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Für Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sowie staatliche anerkannte Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter beziehungsweise staatlich anerkannte Sozialpädagoginnen und -pädagogen, die in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ebenfalls gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung feststellen, gilt dies entsprechend.
Soweit in diesem Zusammenhang der Verdacht einer Straftat gegen andere Personen besteht, ist – auch mit Blick auf die Verhinderung der Fortsetzung dieser Straftat – bereits seitens der Schule die Information der Strafverfolgungsbehörden zu prüfen.
3.3 Polizeibehörden
3.3.1 Allgemeines
Polizeiliche Konzepte zur Reduzierung der Kinder- und Jugendkriminalität umfassen Prävention, Opferschutz und die Vermittlung von Opferhilfe ebenso wie Maßnahmen der Strafverfolgung. Vorrangiges Ziel ist, die Entstehung krimineller Karrieren frühzeitig zu erkennen und ihre Verfestigung zu verhindern. Von besonderer Bedeutung sind dabei Intensivtäterprojekte und die schnelle Aufklärung von Straftaten. Hierzu arbeitet die Polizei insbesondere mit Schulen, Jugendämtern, freien Trägern der Jugendhilfe, Ordnungsbehörden und Justizbehörden eng zusammen.
3.3.2 Zusammenarbeit mit den Jugendämtern
Der Kontakt zu den Jugendämtern sollte besonders eng sein. Sie werden über jugendgefährdende Orte sowie über gefährdete Kinder und Jugendliche unterrichtet. Das Jugendamt ist unverzüglich zu verständigen, wenn erzieherische Maßnahmen schon während der polizeilichen Ermittlungen notwendig erscheinen. Die Bewährungshilfe sollte bereits informiert werden, wenn aufgrund polizeilicher Feststellungen zu befürchten ist, dass von ihr Betreute wieder in die Kriminalität abzugleiten drohen.
Die Polizei unterstützt die Ordnungs- und Jugendbehörden bei der Überwachung der Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes, um Gefährdungen zu verhindern, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern und Jugendlichen bedrohen.
Bei Gefährdungen für Kinder und Jugendliche trifft die Polizei die unaufschiebbar notwendigen Maßnahmen im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Sie wirkt auf intervenierende Maßnahmen originär zuständiger Behörden hin.
3.3.3 Polizeiliche Bearbeitung der Jugendkriminalität
In allen Polizeibezirken begleiten zum Zwecke des Jugendschutzes speziell geschulte Beamtinnen und Beamte die örtlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität und regen Verbesserungen an. Zu diesem Zweck halten sie Verbindung zu den Dienststellen ihrer Behörde, die Sachverhalte bearbeiten, an denen Kinder und Jugendliche als Tatverdächtige, Opfer oder Gefährdete beteiligt sind.
Gerade der erste Kontakt von tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen mit den Strafverfolgungsbehörden kann wesentlichen Einfluss auf ihre zukünftige Entwicklung haben. Die Bearbeitung von Jugendsachen erfolgt daher durch besonders geschulte und mit der Jugendkriminalität vertraute Polizeibeamtinnen oder Polizeibeamte (Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter).
3.3.4 Zusammenarbeit mit Schulen
Die Polizei bietet allen Schulen bilateral oder im Rahmen von Ordnungspartnerschaften aktive Kooperationsformen an, die auf die Verhinderung von Straftaten durch Schülerinnen und Schüler sowie eine Verbesserung des Schutzes von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern vor Straftaten gerichtet sind.
In diesem Rahmen prüft sie regelmäßig auch ihre Beteiligung an kriminalpräventiven Schulprojekten. Die Zusammenarbeit von Polizei und Schulen bedingt eine Atmosphäre des Vertrauens und der gegenseitigen Gesprächsbereitschaft. Erfordert die Sicherheitslage an einer Schule polizeiliches Einschreiten, sind auch mit der Schulleitung abgestimmte Maßnahmen der Kriminalprävention und der Strafverfolgung in Betracht zu ziehen.
Die Strafverfolgungspflicht der Polizei bleibt unberührt.
Für die Zusammenarbeit mit den Schulen benennen die Kreispolizeibehörden feste Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner. Für diese Aufgabe kommen insbesondere Beamtinnen und Beamte des polizeilichen Bezirksdienstes in Betracht. Sie bewerten gemeinsam mit den von der Schule und dem Jugendamt benannten Personen mindestens einmal jährlich ihre Zusammenarbeit.
Die Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeiter übermitteln der Schulleitung den Sachverhalt, soweit
– der Tatverdacht sich gegen einen Schüler oder eine Schülerin richtet, und
– auf Grund der Art der Straftat oder sonstiger konkreter Anhaltspunkte die Gefahr besteht, dass der oder die Tatverdächtige innerhalb oder außerhalb der Schule zum Nachteil von Mitschülerinnen oder Mitschülern, Lehrerinnen oder Lehrern, sonstigen in der Schule beschäftigten Personen oder Personen der Elternvertretung eine Straftat begehen wird, und
– die Kenntnis des Sachverhalts für die Schulleitung erforderlich ist, damit sie im Rahmen ihrer Aufgaben die Gefahr abwehren kann.
Spätestens bei Abschluss der polizeilichen Ermittlungen überprüft die Polizei, ob der Tatverdacht und die Gefahrenprognose fortbestehen. Änderungen sind der Schulleitung mitzuteilen.
Die Schulleitungen dürfen die übermittelten Daten ausschließlich zu Zwecken der ihr obliegenden Gefahrenabwehr verwenden. Eine Weitergabe ist nur innerhalb des Lehrerkollegiums oder an Aufsichtsstellen statthaft, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist.
3.3.5 Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften
Ermittlungsverfahren gegen jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige, bei denen aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung sowie der Art, Schwere und Anzahl der ihnen zur Last gelegten Taten eine umgehende strafrechtliche Reaktion geboten ist, sind vorrangig durchzuführen. Die hierzu notwendigen Verfahrensabläufe stimmen die Kreispolizeibehörden mit den zuständigen Staatsanwaltschaften ab.
3.4 Justizbehörden
3.4.1 Aufgaben der Justizbehörden
Die Justizbehörden – Staatsanwaltschaften und Gerichte – werden Kraft ihres gesetzlichen Auftrags erst tätig, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Ihre Maßnahmen und Reaktionen orientieren sich dabei vor allem an dem Erziehungsgedanken auf der Grundlage der besonderen Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes. Bereits im Ermittlungsverfahren wird die Jugendgerichtshilfe in das Verfahren eingebunden.
In Jugendverfahren sollen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte beziehungsweise Amtsanwältinnen und Amtsanwälte sowie Richterinnen und Richter tätig sein, die erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sind. Richterinnen und Richter auf Probe und Beamtinnen und Beamte auf Probe sollen im ersten Jahr nach ihrer Ernennung nicht zur Jugendstaatsanwältin oder zum Jugendstaatsanwalt bestellt werden.
3.4.2 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte für den Ort
Um kriminelle Karrieren einzelner Jugendlicher vor Ort frühzeitig zu erkennen und schnell und angemessen reagieren zu können, ist die Bearbeitung der Jugendstrafverfahren bei allen Staatsanwaltschaften des Landes der Staatsanwältin beziehungsweise dem Staatsanwalt für den Ort übertragen worden. Sie stehen als ständige Ansprechpersonen den Beschäftigten aller in ihrem Bezirk tätigen Behörden, insbesondere den Jugendsachbearbeiterinnen und Jugendsachbearbeitern der Polizei, den Jugendämtern und den Schulen, zur Verfügung.
3.4.3 Jugendstrafverfahren
Der Erziehungsgedanke spiegelt sich insbesondere auch in den vielfältigen, abgestuften Reaktionsmöglichkeiten wider. Durch zeitnahe und erzieherische Maßnahmen, etwa die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs oder eines sozialen Trainingskurses (zum Beispiel in Form eines Anti-Gewalt-Trainings), leisten die Justizbehörden gleichzeitig einen Beitrag zur Verhütung weiterer Straftaten.
Nach Durchführung der Ermittlungen obliegt den Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälten die Entscheidung, ob ein Tatnachweis zu führen ist und ob unter den Voraussetzungen des § 45 Jugendgerichtsgesetz (JGG) von der Verfolgung abgesehen werden kann. Dabei ist besonderes Augenmerk auf die Durchführung erzieherischer Maßnahmen gemäß § 45 Abs. 2 JGG zu richten. Kommt ein Absehen von der Verfolgung aus erzieherischen Gründen nicht in Betracht, wird zeitnah Anklage erhoben oder Antrag auf Entscheidung im Vereinfachten Jugendverfahren gestellt.
Sind in einem Ermittlungsverfahren gegen eine Jugendliche oder einen Jugendlichen die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls gegeben, prüft die Jugendstaatsanwältin oder der Jugendstaatsanwalt regelmäßig, ob der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht oder zur Haftvermeidung vorrangig die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe angeordnet werden kann (§§ 71, 72 Jugendgerichtsgesetz). Über die betreffenden Einrichtungen der Jugendhilfe wird die Justiz regelmäßig informiert.
Die Jugendgerichte führen die Jugendverfahren mit Blick auf den Erziehungsgedanken unter Beachtung des Beschleunigungsgebots und der besonderen Bestimmungen des JGG durch. Sie ordnen – falls eine Einstellung nach § 47 JGG nicht in Betracht kommt – Erziehungsmaßregeln und dort insbesondere Weisungen an. Wenn diese nicht ausreichen, wird die Straftat mit Zuchtmitteln (zum Beispiel Arbeitsauflage oder Jugendarrest) geahndet. Die Jugendstrafe ist ultima ratio jugendstrafrechtlicher Rechtsfolgen. Sie darf nur verhängt werden, wenn andere Maßnahmen zur Erziehung im Hinblick auf schädliche Neigungen und/oder zum Ausgleich schwerer Schuld nicht ausreichen (§ 5 Absatz 2 i.V.m. § 17 Absatz 2 Jugendgerichtsgesetz). Jugendarrest neben zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe kann zur Verdeutlichung des Unrechts und der Folgen erneuter Straftaten oder zur Verbesserung der Erfolgsaussichten für eine erzieherische Einwirkung der Bewährungszeit und deren Bewältigung angeordnet werden.
3.4.4 Vollstreckung jugendstrafrechtlicher Sanktionen
Für die zeitnahe Vollstreckung der erkannten Maßnahme ist Sorge zu tragen. Die Arrestvollstreckung ist gemäß § 85 Abs. 1 JGG i.V.m. § 90 Abs. 2 S. 2 JGG unmittelbar nach Rechtskraft des Urteils und vor Urteilsabsetzung an den Jugendrichter am Ort des Vollzugs abzugeben, dem die weitere Vollstreckung und die Vollzugsleitung obliegt. Bei einer Jugendstrafe mit Bewährung sieht das JGG obligatorisch die Unterstellung unter eine Bewährungshelferin oder einen Bewährungshelfer vor. Dadurch ist sichergestellt, dass die Jugendrichterin oder der Jugendrichter regelmäßig über den Verlauf der Bewährungszeit unterrichtet ist und auf mögliches Fehlverhalten umgehend reagieren kann.
Der Vollzug des Jugendarrestes und der Jugendstrafe wird erzieherisch gestaltet. Der Jugendstrafvollzug geht deshalb durch differenzierte Angebote auf den individuellen Förderbedarf der Gefangenen ein. Die Förderung richtet sich in besonderem Maße auf die Bereiche der schulischen Bildung und der beruflichen Qualifizierung. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt wird mit den Arbeitsagenturen und sonstigen Einrichtungen eng zusammengearbeitet. Die Entlassung wird individuell vorbereitet.
Bei der Vollstreckung von Jugendarrest oder Jugendstrafe an Schultagen soll die Vollstreckungsleitung regelmäßig zugleich mit der Ladung die Schulleitung davon unterrichten, wo und in welcher Zeit die Vollstreckung erfolgt. Dem Jugendlichen kann auch aufgegeben werden, die Ladung der Schulleitung vorzulegen und die Kenntnisnahme bescheinigen zu lassen.
3.4.5 Familiengerichtliche Verfahren
Verantwortung für die Verhütung von Jugendkriminalität trifft im Übrigen nicht nur die Strafgerichte. Jugendkriminalität kann Ausdruck von Verwahrlosungszuständen in elterlicher Mitverantwortung sein. Gemäß § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches haben die Familiengerichte eine Gefährdung des Kindeswohls durch erforderliche Maßnahmen abzuwenden, wenn die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.
3.5 Untere Gesundheitsbehörden
Bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen einer psychischen Störung oder schweren Verhaltensauffälligkeit empfiehlt es sich, die speziellen Dienste – wie den jugendpsychiatrischen und/oder den jugend- und schulärztlichen Dienst – der unteren Gesundheitsbehörden zu informieren.
Suchtgefährdete oder suchtkranke Jugendliche sollten auf Hilfemöglichkeiten der Suchtberatungsstellen hingewiesen werden.
3.6 Ordnungsbehörden
Zur Verhütung der Jugendkriminalität werden die Ordnungsbehörden insbesondere bei der Überwachung jugendgefährdender Orte unter den Gesichtspunkten des Jugendschutzes sowie der Einhaltung gaststätten- und gewerberechtlicher Vorschriften tätig.
4 Besondere Formen der Zusammenarbeit
4.1 Fallkonferenzen
Bei herausragenden Straftaten oder Gefahrenlagen sowie bei Kindern und Jugendlichen, die als Mehrfach- oder Intensivtäterinnen und -täter auffällig werden, ist eine besonders enge Zusammenarbeit der betroffenen Behörden und Institutionen notwendig. Sowohl fallübergreifende Konferenzen als auch einzelfallbezogene Fallkonferenzen, an denen die jeweils betroffenen Institutionen teilnehmen, fördern und vereinfachen den Informationsaustausch. Zugleich ermöglichen sie, auf den jeweiligen Einzelfall ausgerichtete Maßnahmen zu vereinbaren.
4.2 Häuser des Jugendrechts
In „Häusern des Jugendrechts“ sind Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe gemeinsam tätig. Die enge Zusammenarbeit fördert den Informationsaustausch und ermöglicht es, tatverdächtige Jugendliche ihrer jeweiligen Situation und Persönlichkeit angemessen zu behandeln. Gerade Jugendliche, die als Mehrfach- oder Intensivtäterinnen oder -täter auffällig werden, können in „Häusern des Jugendrechts für Intensivtäter“ eng begleitet werden. Der Entwicklung und Verfestigung krimineller Karrieren im Jugendalter wird mittels abgestufter Maßnahmen in direkter Abstimmung zwischen Polizei, Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft individuell entgegengewirkt. Alle Maßnahmen orientieren sich dabei insbesondere am Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts.
5 Wesentliche Erlasse
Für die Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität bestehen über diesen Erlass hinaus zahlreiche spezifische Regelungen, darunter:
– „Polizeiliche Kriminalprävention“ (RdErl. d. Innenministeriums – 42-62.02.01 – v. 28. 9. 2006; RdErl. d. Ministerium für Inneres und Kommunales – 424-62.02.01 – v. 15. 11. 2011)
– „Bearbeitung von Jugendsachen“ (PDV 382) RdErl. d. Innenministeriums v. 7. 12. 1995 (n. v.) – IVC2-1591 – SMBl. NRW. 2054)
– „Haftentscheidungshilfe im Jugendstrafverfahren“ (Gem. RdErl. d. Justizministeriums – 4210-IIIA.87, d. Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales – IVB2 6150 u. d. Innenministeriums – IVD2-6591/2.7 – v. 3. 5. 1995 – JMBl. NRW. S. 133)
– „Diversionsrichtlinien“ (Gem. RdErl. d. Justizministeriums – 4210-III79, d. Innenministeriums – 42-6591/2.4, d. Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder – 322-6.08.08.04-7863 u. d. Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie – III-2-1122 v. 13. 7. 2004)
– „Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafverfahren“ (Gem. RdErl. d. Justizministeriums, d. Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales u. d. Innenministeriums v. 14. 3. 1995 – SMBl. NRW. 451)
– Zuständigkeiten „Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich der Jugendwohlfahrt nach dem Jugendschutzgesetz, dem Sozialgesetzbuch VIII – Kinder- und Jugendhilfe – und dem Jugendfreiwilligendienstegesetz (Jugendwohlfahrtszuständig-keitsverordnung – ZuVO JuWo)“ vom 10. November 2009 (GV. NRW. S. 586)
– Netzwerke gegen Gewalt „Netzwerke gegen Gewalt an Schulen und im schulischen Umfeld; Einrichtung von Arbeitsgemeinschaften bei den Kreisen und kreisfreien Städten" (Gem. RdErl. des Kultusministeriums u. d. Innenministeriums v. 16. 2. 1994, – Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften NRW (BASS) 12 – 21 Nr. 9)
6 Geltungsdauer
Dieser Erlass tritt mit Wirkung vom 1. September 2014 in Kraft und mit Ablauf des 31. August 2019 außer Kraft.
ABl. NRW. 11/14 S. 547