14-23 Nr. 4
Mehr Freiräume für Schulen
mit erweiterter Selbstständigkeit
Runderlass des Ministeriums für Schule und Bildung
Vom 30. Juni 2024 (ABI. NRW. 07/24)
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Grundsätze
1.1 Das Schulgesetz NRW (SchulG) ermöglicht den Schulen in Nordrhein-Westfalen schulische Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Die Schule gestaltet den Unterricht, die Erziehung und das Schulleben im Rahmen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften in eigener Verantwortung. Sie verwaltet und organisiert ihre inneren Angelegenheiten selbstständig. Die Schulaufsichtsbehörden sind verpflichtet, die Schulen in ihrer Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu beraten und zu unterstützen (§ 3 Absatz 1 SchulG NRW). Das Schulgesetz und die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen enthalten bereits erhebliche Freiräume, die von den Schulen in eigener Verantwortung wahrgenommen werden.
1.2 Zur Erprobung von Abweichungen grundsätzlicher Art sieht das Schulgesetz NRW Schulversuche (§ 25 Absatz 1 SchulG) und Versuchsschulen (§ 25 Absatz 2 SchulG) vor. Gegenstand dieses Erlasses ist die Experimentierklausel nach § 25 Absatz 3 SchulG:
Zur Erprobung neuer Modelle erweiterter Selbstverwaltung und Eigenverantwortung kann Schulen auf deren Antrag im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit dem Schulträger und der Schulaufsichtsbehörde gestattet werden, von einzelnen bestehenden Rechtsvorschriften abzuweichen (Schulentwicklungsvorhaben).
1.3 Mit dem Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der Eigenverantwortung von Schulen (16. Schulrechtsänderungsgesetz) vom 23. Februar 2022 wurde der bisherige Katalog der Erprobungsgegenstände erweitert und zusätzlich in § 25 Absatz 5 Schulgesetz NRW die Möglichkeit vorgesehen, Schulentwicklungsvorhaben auch unbefristet zu genehmigen (Schule mit erweiterter Selbstständigkeit).
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Standards und Voraussetzungen der Genehmigung
nach § 25 Absatz 3 SchulG NRW
2.1 Schulen kann durch das Ministerium für Schule und Bildung gestattet werden, abweichend von den bestehenden Rechtsvorschriften, innovative schulische Vorhaben insbesondere bei
1. der Bildung von Lerngruppen,
2. der Unterrichtsorganisation,
3. den Formen der äußeren Differenzierung,
4. dem Übergang in eine höhere Klasse oder Jahrgangsstufe,
5. den Vorgaben der Richtlinien, Lehrpläne und Stundentafeln
als Entwicklungsvorhaben gem. § 25 Absatz 3 SchulG (BASS 1-1) zu erproben.
2.2 Bei der Durchführung des Entwicklungsvorhabens dürfen keine zusätzlichen Kosten verursacht werden. Das Ministerium für Schule und Bildung stellt für die Durchführung von Schulentwicklungsvorhaben keine zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung.
2.3 Es muss gewährleistet sein, dass grundlegende Leitentscheidungen des Schulgesetzes und der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen eingehalten werden und die von den Schülerinnen und Schülern erworbenen Abschlüsse vergleichbar und gleichwertig sind. Die Einhaltung der Bildungsstandards und die Anerkennung der Abschlüsse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland müssen gesichert sein.
2.4 Abweichungen von den Regelungen zur Leistungsbewertung gem. § 48 SchulG und zur Dokumentation von Fehlzeiten gem. § 49 Absatz 2 SchulG einschließlich der zu diesen Bestimmungen erlassenen Ausführungsvorschriften sind im Interesse der Gleichbehandlung aller Schülerinnen und Schüler nicht möglich. Dies gilt auch für den Inhalt und die Ausgestaltung von Abschluss-, Überweisungs- und Abgangszeugnissen.
2.5 Regelungen für das Abschlussverfahren zum Erwerb des Erweiterten Ersten Schulabschlusses und des Mittleren Schulabschlusses gem. § 12 Absatz 3 SchulG und für die Abiturprüfung gem. § 18 Absatz 5 SchulG bleiben durch Entwicklungsvorhaben ebenfalls unberührt.
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Antragsverfahren
Die Genehmigung eines Vorhabens durch das Ministerium für Schule und Bildung setzt eine Antragsstellung unter Beachtung nachstehender Verfahrensgrundsätze und Verwendung der im Bildungsportal veröffentlichen Formulare für Schulentwicklungsvorhaben voraus.
Voraussetzung für die Genehmigung des Vorhabens ist die hinreichende Beschreibung von Inhalt, Ziel, Durchführung und Dauer in einem Programm (§ 25 Absatz 4 SchulG).
3.1 Die Schule kann vor einer Antragstellung zur Beratung und Vorprüfung ganzjährig mit einer Skizze zum Vorhaben an die zuständige Schulaufsichtsbehörde (Schulamt/Bezirksregierung) herantreten.
Diese Skizze soll mindestens folgende Angaben enthalten:
- Eckpunkte des Erprobungskonzepts (Beschreibung des Vorhabens und des Erprobungsziels),
- Dauer und geplanter Beginn des Vorhabens (Zeitplan) und
- die mit dem Vorhaben verbundenen Abweichungen von Rechtsvorschriften.
Noch bevor die Schule in eine breit angelegte Konzeptentwicklung mit allen Beteiligten vor Ort einsteigt, erhält sie so die Möglichkeit, die Grundzüge ihres Erprobungskonzepts der gemäß § 88 Absatz 2 und 3 SchulG zuständigen Schulaufsichtsbehörde schriftlich vorzustellen und zu erläutern, um eine erste Einschätzung zu dem Vorhaben zu erhalten.
Die schulfachliche und schulrechtliche Bewertung der Skizze wird dem Ministerium zur Zustimmung vorgelegt. Die Rückmeldung an die Schule erfolgt im Anschluss durch die zuständige Schulaufsicht.
3.2. Die Schule reicht den Antrag auf dem Dienstweg über die jeweils zuständigen Schulaufsichtsbehörden in der Geschäftsstelle zu den jeweils jährlich festgesetzten Fristen bei der Schulentwicklungskonferenz ein.
Der Antrag ist durch die zuständigen Schulaufsichtsbehörden mit einer aussagekräftigen und umfassenden schulaufsichtlichen Stellungnahme an die Geschäftsstelle der Schulentwicklungskonferenz zu leiten.
Die Stellungnahme umfasst einen Vorschlag hinsichtlich der Entscheidung über den Antrag und die tragenden fachlichen und rechtlichen Gründe für die Bewertung. Auf aus Sicht der Schulaufsichtsbehörde bestehende Genehmigungshindernisse ist hinzuweisen. Schulfachliche Stellungnahmen der oberen Schulaufsichtsbehörden sind mit dem zuständigen schulrechtlichen Dezernat abzustimmen.
Um die Festlegung von Inhalt, Ziel, Durchführung und Dauer in einem Programm (§ 25 Abs. 3 SchulG) im Antrag für ein Schulentwicklungsvorhaben darzustellen, müssen mindestens folgende Inhalte enthalten sein:
- Bezeichnung des Vorhabens/ Erprobungsziels,
- Beantragte Dauer und Beginn,
- konkrete Benennung der schulrechtlichen Abweichungen,
- Zustimmung der Schulkonferenz gem. § 65 Absatz 2 Nummer 10 SchulG,
- Zustimmung des Schulträgers,
- Kooperationsvereinbarungen mit Schulträger und Schulaufsichtsbehörde,
- Nachweis über die Ressourcenneutralität,
- Nachweis zur Einhaltung der Standards zum Erwerb von Abschlüssen und Berechtigungen sowie der in den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen festgelegten Grundsätze der Leistungsbewertung,
- Darstellung der beabsichtigten Evaluation (Evaluationskonzept).
3.3 Das Ministerium entscheidet über Anträge auf Grundlage der schriftlichen Stellungnahme der Mitglieder der Schulentwicklungskonferenz gemäß Nummer 4, soweit die Anträge fristgemäß eingegangen und vollständig sind. Es kann eine Ergänzung des Antrags bei der Schule oder der schulfachlichen Stellungnahme bei der Schulaufsicht anfordern. Ebenso kann es sich das Vorhaben durch die Schule und die Schulaufsichtsbehörden in geeigneter Form erläutern lassen.
3.4. Das Ministerium genehmigt ein Entwicklungsvorhaben zunächst für maximal sechs Schuljahre. Das Ministerium kann die Genehmigung mit Nebenbestimmungen versehen.
3.5. Die Schulentwicklungskonferenz entscheidet jeweils, ob ein Vorhaben grundsätzlich auch für andere Schulen übernahmefähig ist. Beantragt eine andere Schule die Übernahme des Vorhabens, bedarf es keiner nochmaligen inhaltlichen Prüfung seitens des Ministeriums und auch keiner vorherigen Befassung der Schulentwicklungskonferenz. Die Schule stellt bei der zuständigen Schulaufsichtsbehörde einen Antrag auf Übernahme. Die Schulaufsichtsbehörde prüft, ob das bereits genehmigte Entwicklungsvorhaben übernommen werden kann. Dies setzt voraus, dass bei der beantragenden Schule alle Voraussetzungen für die Genehmigung des Vorhabens gegeben sind. Die Schulaufsichtsbehörde zeigt dem Ministerium das Prüfungsergebnis an.
Die Erprobungszeit aller an einem Vorhaben beteiligten Schulen endet für alle Schulen, auch für die Schulen, die sich zu einem späteren Zeitpunkt angeschlossen haben, mit Ablauf der Erprobungszeit des ursprünglichen Vorhabens. Die zuständige Schulaufsichtsbehörde weist im Beratungsgespräch ausdrücklich darauf hin.
3.6. Spätestens sechs Monate vor Ablauf des Erprobungszeitraums legt jede an einem Vorhaben beteiligte Schule der Schulentwicklungskonferenz einen mit einer Stellungnahme der zuständigen Schulaufsichtsbehörde versehenen Evaluationsbericht über ihr Entwicklungsvorhaben vor.
Bei der Entscheidung zur Weiterführung oder Beendigung des Entwicklungsvorhabens berücksichtigt das Ministerium die Stellungnahme der Schulentwicklungskonferenz.
Folgende Empfehlungen können für die evaluierten Schulentwicklungsvorhaben von der Schulentwicklungskonferenz abgegeben werden:
a) Das Entwicklungsvorhaben erweist sich als geeignet.
Die Schulentwicklungskonferenz empfiehlt,
- das Vorhaben – gegebenenfalls mit Modifikationen – fortzuführen und eine Rechtsänderung vorzunehmen,
- eine befristete Verlängerung des Erprobungszeitraums oder
- auf Antrag das Vorhaben für einzelne Schulen unbefristet zu genehmigen (Schulen mit erweiterter Selbstständigkeit). Die Schule überprüft regelmäßig gemäß § 25 Absatz 5 SchulG ihre Arbeit und berichtet der Schulaufsichtsbehörde darüber.
Das Ministerium kann seine Entscheidung widerrufen, wenn die Voraussetzungen für die Entscheidung nicht mehr vorliegen.
b) Das Entwicklungsvorhaben erweist sich als nicht geeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen. In diesem Fall ist das Vorhaben beendet.
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Schulentwicklungskonferenz
Die Schulentwicklungskonferenz berät und prüft die eingereichten Anträge zweimal pro Schuljahr. Die Termine, die Antragsfristen und die zu nutzenden Formulare werden rechtzeitig im Bildungsportal des Ministeriums veröffentlicht.
4.1 Das Ministerium richtet eine schulformübergreifende Schulentwicklungskonferenz ein, die die Entwicklungsvorhaben auf ihre Wirkungen und Ergebnisse überprüft und begleitet.
Die Schulentwicklungskonferenz
- begutachtet die Entwicklungsvorhaben und gibt gegenüber dem Ministerium ein Votum ab,
- wertet die von den Schulen mit Entwicklungsvorhaben vorzulegenden Berichte daraufhin aus, ob und wieweit diese Vorhaben auf das gesamte Schulwesen übertragbar sind oder nur für diese Schule geeignet ist,
- gibt den Schulen Impulse für die weitere Entwicklung,
- gibt gegenüber dem Ministerium eine Empfehlung zu erprobten Entwicklungsvorhaben ab.
4.2 Als stimmberechtigte Mitglieder beruft das Ministerium:
- eine Vertreterin oder einen Vertreter des Ministeriums als Vorsitzende oder Vorsitzenden,
- drei weitere Vertreterinnen oder Vertreter des Ministeriums,
- drei Vertreterinnen oder Vertreter der kommunalen Spitzenverbände.
Für die Empfehlungen bedarf es der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
Zusätzlich werden
- eine Vertreterin oder einen Vertreter des Ministeriums benannt, der oder dem die Geschäftsführung obliegt,
- bei Bedarf Personen zur Beratung aus dem schulrechtlichen oder schulfachlichen Bereich aus unterer, oberer oder oberster Schulaufsicht beteiligt. In diesem Fall erfolgt eine rollierende Beteiligung aus einem jeweils nicht für die antragstellende Schule zuständigen Schulaufsichtsbezirk.
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Transparenz der Entwicklungsvorhaben
5.1 Entwicklungsvorhaben sind als Teil des Schulprogramms von der Schule in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Eltern sind bei der Schulanmeldung über die Durchführung und den Inhalt des Entwicklungsvorhabens zu informieren.
5.2 Das Ministerium veröffentlicht im Bildungsportal eine Liste der genehmigten Entwicklungsvorhaben. Bei den einzelnen Entwicklungsvorhaben werden Laufzeit und die Bestimmungen der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen genannt, von denen im Rahmen des Vorhabens abgewichen wird.
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Inkrafttreten, Außerkrafttreten
Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. Gleichzeitig tritt der Runderlass „Mehr Freiräume für innovative schulische Vorhaben“ des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 2. Juli 2012 (ABl. NRW. S. 431) außer Kraft.