12-21 Nr. 4

Beratungstätigkeiten
von Lehrerinnen und Lehrern in der Schule

RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung
v. 02.05.2017 (ABl. NRW. 05/17 S. 36)1

1 Grundlagen und Auftrag

1.1 Nachhaltige Bildungspolitik setzt auf Prävention. Sie verknüpft psychosoziale Beratungsangebote für Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien in der Schule und in der Kommune.

1.2 Beratung orientiert sich an dem Ziel einer möglichst erfolgreichen und bruchlosen Bildungsbiographie der Schülerinnen und Schüler. Sie sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche und ihre Familien im Hinblick auf Bildung, Erziehung und individuelle Förderung möglichst früh unterstützt werden und eine Präventionskette entsteht, die sich am Lebensweg eines Kindes orientiert. Dies ist eine Grundvoraussetzung zur Herstellung und Sicherung von Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit sowie zur Teilhabe in einem inklusiven Bildungssystem.

1.3 Zentrale Grundlage ist die enge Zusammenarbeit insbesondere von Schule, Schulpsychologie (BASS 21-01 Nr. 15), Sozialpädagogik, Sozialarbeit (BASS 21-13 Nr. 6), Schul-, Jugend- und Sozialbehörden, Berufsberatung, Betrieben, Kommunalen Integrationszentren (BASS 12-21 Nr. 18), Erziehungsberatungsstellen, Polizei und weiteren Einrichtungen, die Kinder und Jugendliche sowie ihre Familien beraten und unterstützen.

1.4 Der Erlass gilt für alle Schulformen mit Sekundarstufe I und II sowie Förderschulen.

2 Beratungstätigkeit als Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer

Beratung ist wie Unterrichten, Erziehen und Beurteilen Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer (§ 44 SchulG - BASS 1-1, § 9 Absatz 1 ADO - BASS 21-02 Nr. 4). Sie bezieht sich vor allem auf die Beratung von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern

- über Bildungsangebote, Schullaufbahn, Übergänge in andere Schulen und weitere Bildungswege einschließlich der Beruflichen Orientierung sowie

- bei Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und weiteren den Bildungsweg der Kinder und Jugendlichen berührenden besonderen oder psychosozialen Problemlagen.

3 Schuleigenes Beratungskonzept

3.1 Wirksame Beratung profitiert von der Zusammenarbeit aller Beteiligten und kollegialer Beratung. Den Schulen wird empfohlen, zur Organisation, Koordination und inhaltlichen Schwerpunktsetzung ihrer Beratungstätigkeiten ein schuleigenes Beratungskonzept als Teil ihres Schulprogrammes zu entwickeln und ein schulisches Team für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention einzurichten.

3.2 Das schuleigene Beratungskonzept orientiert sich an den in der Schule gegebenen Bedarfen und Möglichkeiten und setzt Prioritäten. Es bezieht Ganztagsangebote und andere außerunterrichtliche Angebote ein. Es beschreibt die Aufgaben der in der Schule tätigen Beratungslehrkräfte. Es berücksichtigt vorhandene Zuständigkeiten - insbesondere von Schulleitung und Schulaufsicht und bezieht die Kompetenz anderer in und im Umfeld der Schule für spezifische Beratungsaufgaben zuständige Fachkräfte mit ein. Es berücksichtigt gegebene sozialräumliche Handlungskonzepte und enthält verbindliche Verfahrensabsprachen.

3.3 Es wird angestrebt, dass alle Schulen in ihrem Umfeld jeweils zumindest eine Ansprechperson erreichen können, die weiß, was in konkreten Fällen zu tun ist und wer einbezogen werden könnte und sollte. Es ist daher nicht erforderlich, dass in jeder Schule für alle Fallkonstellationen die erforderliche Kompetenz vorgehalten wird. Die Schulen entscheiden im Rahmen ihrer Ressourcen eigenverantwortlich und bedarfsorientiert, für welche Arbeitsbereiche sie Expertinnen und Experten brauchen.

3.4 Das schuleigene Beratungskonzept ist Ergebnis eines schulinternen Diskussions- und Einigungsprozesses. Die Lehrkräfte und - soweit vorhanden - Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, sowie das weitere in der Schule tätige sozialpädagogische Personal und andere Fachkräfte, insbesondere im Ganztagsbereich, verständigen sich gleichberechtigt miteinander über Inhalte und Aufgabenwahrnehmung. Das Konzept wird von der Schulkonferenz verabschiedet und bei Bedarf fortgeschrieben und aktualisiert (§ 65 Absatz 2 Nummer 13 SchulG).

4 Aufgaben und Kompetenzen von Beratungslehrkräften

4.1 In Schulen, in denen die Schulkonferenz Bedarf nach einer Ergänzung und Intensivierung der Beratungstätigkeiten von Lehrkräften feststellt, kann die Schulleiterin oder der Schulleiter im Einvernehmen mit der Lehrerkonferenz Beratungslehrkräfte beauftragen und deren Aufgaben definieren (§ 68 Absatz 3 Nummer 2 und 7 SchulG, § 9 Absatz 4 ADO).

4.2 Voraussetzung für die Beauftragung von Beratungslehrkräften ist in der Regel eine vorrangig durch Fortbildung nachgewiesene Beratungskompetenz.

4.3 Aufgaben

4.3.1 Beratungslehrkräfte konzentrieren sich auf Problem- und Notlagen, die mit den in der Schule vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen behandelt werden können und nicht Aufgaben sind, die in der Schule von anderen beratend tätigen Lehrkräften oder sozialpädagogischem Personal wahrgenommen werden (beispielsweise SV-Lehrkräfte, Lehrkräfte mit koordinierenden Aufgaben, auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem, zur Beruflichen Orientierung, im Rahmen der Bildungslaufbahn der Schülerinnen und Schüler, von Übergängen in der Bildungsbiographie, im Zusammenhang mit Ganztagsangeboten oder zur Förderung besonderer Begabungen. Die Zuständigkeiten und Aufgaben von Schulleitungen und Schulaufsicht sind davon unberührt.

4.3.2 Beratungslehrkräfte verstehen sich vorrangig als Lotsinnen und Lotsen, um die jeweilig erforderlichen Beratungskompetenzen in und im Umfeld der Schule zu vermitteln. Dabei können sie sich selbst als Expertinnen und Experten für bestimmte Themenbereiche profilieren.

Ihre konkrete Aufgabenwahrnehmung kann sich je nach Schwerpunktsetzung und Bedarfslage der Schulen in folgenden Handlungsfeldern bewegen:

- Beratung und Begleitung von Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern,

- kollegiale Beratung in schulischen Beratungssituationen,

- Mitwirkung in einem schulinternen Team für Beratung und Gewaltprävention sowie für Krisenintervention,

- Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen.

4.3.3 Es wird empfohlen, dass sich Beratungslehrkräfte benachbarter Schulen vernetzen, auch schulstufen- und schulformübergreifend, und gemeinsam mit den im Schulumfeld vorhandenen Beratungseinrichtungen Wege suchen, eine ggf. erforderliche Beratung auch dann erfolgen kann, wenn die spezifische Beratungskompetenz nicht in der eigenen Schule vorgehalten werden kann.

4.4 Kompetenzen

Beratungslehrkräfte verfügen über Kenntnisse und Erfahrungen in Inhalten und Verfahren der psychosozialen Beratung unter folgenden Aspekten:

- Grundlagen der Entwicklung einer Bildungsbiographie,

- Grundlagen der Netzwerkarbeit und der Kommunikation (u.a. im Hinblick auf Gesprächsführung, Moderation und Zusammenarbeit in der Schule und im kommunalen Umfeld),

- Grundlagen und Verfahren im Rahmen innerschulischer Beratungskonzepte,

- Grundlagen und Verfahren psychosozialer Beratungs- und integrativer Hilfeverfahren, insbesondere für Hilfen zur Erziehung (SGB VIII) und andere Formen erzieherischer Förderung

- Grundlagen und Verfahren für den Umgang mit materieller Armut und Bildungsarmut (u.a. SGB II),

- Grundlagen und Verfahren bei Kindeswohlgefährdung einschließlich sexueller Gewalt (Bundeskinderschutzgesetz, § 42 Absatz 6 SchulG NRW, Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz) sowie zur Prävention und Intervention bei Gewalt und Krisensituationen,

- Grundlagen und Verfahren einer präventiven Bildungs- und Sozialarbeit einschließlich sozialer Frühwarnsysteme und des Wirkungsgefüges kommunaler Präventionsketten,

- interkulturelle Kompetenzen und Genderkompetenz.

5 Datenschutz

Grundlagen jeder Beratung in psychosozialen Problem-, Not- und Gefährdungslagen sind Verbindlichkeit, Vertraulichkeit und Verlässlichkeit. Einzelhilfe im Rahmen der Beratungstätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern im Sinne des Erlasses setzt die Zustimmung der zu Beratenen voraus. Die den Lehrerinnen und Lehrern zur Kenntnis gelangten personenbezogenen Daten unterliegen grundsätzlich der Verschwiegenheitspflicht. Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen sind zu beachten. Verfahren im Hinblick auf die Prävention und Intervention bei Straftaten sind davon unbenommen (BASS 18-03 Nr. 1).

6 Anrechnungsstunden für Beratungslehrkräfte

6.1 Pro angefangene 200 Schülerinnen und Schüler kann für Beratungslehrkräfte eine Anrechnungsstunde gewährt werden. Für Schulen mit besonderen Problemlagen kann erweiterte Beratungskapazität (pro angefangene 100 Schülerinnen und Schüler eine Stunde) zugelassen werden. Eine Beratungslehrkraft kann bis zu fünf Stunden ihrer Unterrichtsverpflichtung für ihre Tätigkeit verwenden.

6.2 Über die Gewährung der Anrechnungsstunden beschließt gemäß § 2 Absatz 5 VO zu § 93 Abs. 2 SchulG die Lehrerkonferenz auf Vorschlag der Schulleitung. Die Lehrerkonferenz kann die in Nummer 6.1 enthaltene Regelung flexibel anwenden, indem sie bei der Bemessung der Anrechnungsstunden die unterschiedliche Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden von Lehrkräften im Rahmen der unterschiedlichen Schulformen berücksichtigt.

6.3 Die Gewährung von Anrechnungsstunden erfolgt gemäß § 2 Absatz 5 der Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 Schulgesetz (BASS 11-11 Nr. 1). Eine Erhöhung der Stellenzuweisung für die Schule ist damit nicht verbunden, da dieser Tatbestand bei der Berechnung der Grundstellen bereits berücksichtigt ist (Nummer 7.1.3 AVO-RL BASS 11-11 Nr. 1.1).

7 Fort- und Weiterbildung

Die Fort- und Weiterbildung von Beratungslehrkräften wird in Anlage 3 Abschnitt II Qualifikationserweiterung von Beratungslehrkräften des RdErl. d. MSW „Fort- und Weiterbildung: Strukturen und Inhalte der Fort- und Weiterbildung für das Schulpersonal (§§ 57 - 60 SchulG)“ (BASS 20-22 Nr. 8) geregelt.

8 Schlussvorschriften

8.1 Den Ersatzschulen wird empfohlen, entsprechend zu verfahren.

8.2 Der Erlass tritt sofort in Kraft.

 


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